Glaßbrenner Berliner Leben – Die Kümmelspekulation

Adolf Glaßbrenner (1810 – 1876 / Pseudonym: A. Brennglas) verfasste viele Geschichten aus dem Berliner Leben, so auch diese mit überraschender Pointe. Er gilt als Vater des Berliner Witzes. Die Geschichte handelt etwa 1850. Die zwei beschriebenen Geschäftsleute waren Eckensteher, also Gepäckträger und Boten. Sie mussten für ihr Unternehmen in Lichtenberg damals die Stadt Berlin durch das Frankfurter Tor verlassen. Theodor Hosemann lieferte zu vielen Veröffentlichungen Glaßbrenners die markanten Zeichnungen.

Die Kümmelspekulation

Zwei Arbeitsleute saßen zusammen auf der Treppe eines Eckhauses und sprachen von diesem und jenem.
“Hör’ mal, du”, sagte der eine, “ick habe mir det schon lange überlegt, wir müssen mal uf’ne leichte Weise en paar Jroschen verdienen. Det Dragen jreift zu sehr an, un man hat weiter keen Verjnijen davon. Weeßte wat, wir wollen mal mit Schnaps spekelieren. Über acht Dage is det Mottenfest in Lichtenberg. Bis dahin sparen wir uns achtzehn Jroschen und koofen vor’n Daler en kleen Tönneken mit Kümmel. Die sechs Jroschen Rabatt, die sind denn schonst unser, und denn sehste, natürlich, mit det eenzelne Jläser Inschenken verdient man ooch ‘ne Menge Jeld.” –

Glaßbrenner - Berliner Leben - Hosemann

Der andere ging in diesen Vorschlag ein, und als der festliche Tag erschienen war, zogen beide frühmorgens zum Tore hinaus, kümmelbeladen, gen Lichtenberg. Kaum waren sie aber eine Viertelstunde gegangen, so hielt derjenige, welcher das Fäßchen trug, an und sagte: “Hör’ mal, Sperkel, det is heute ochsig neblich; wir wollen jeder eenen jenießen; sonst erkälten wir uns.” Dies geschah und wiederholte sich mehrere Male.

Sperkel. Du, Lehmann, seh’ mal in det Faß rin! Komm mal her! Seh’ mal, wat da schon vor ‘ne Öffnung in den Kümmel entstanden is.

Lehmann (schaut hinein). Hol’ mir der Deibel, richtig! Wie det allens in de Welt abnimmt, det is merkwürdig! Den janzen Rabatt haben wir nu schon vernossen. Unjetzt bleibt uns bloß noch de Ware an sich und für sich. Na, aber det schad’t nischt, ick tröste mir. Et war heute neblich, un bei solch’ Wetter muß man sich sehr in acht nehmen. Mir is schonst wieder so kalt in’n Magen; schenk’ mich mal einen in; aber schwaddern muß er!

Sperkel. Ne, Lehmann, det jeht nich mehr! Von de Ware dürfen wir nischt anjreifen; dabei jingen wir zujrund. Mir durschtert ooch noch; aber ick wer’ dir erklären, wie wir die Sache machen. Verkooft muß der Vorrat werden, dazu is er da! Ob wir nu davon jenießen oder een anderer. Jeder is sich selber der Nächste. (Er greift in die Seitentasche der Jacke.) Seh’ mal, ick schenke mir jetzt eenen in un jebe dir davor en Jroschen, damit die Jeschichte ihren orntlichen Jang jeht. (Er gibt Lehmann einen Silbergroschen und trinkt.)

Lehmann. Sperkel, ick kann’t nich mehr aushalten, halte mal an! Schenk’ mir mal vor’n Jroschen in! (Er trinkt und bezahlt.)

Sperkel. Die Jelegenheit wer’ ick benutzen. Mir is die Kehle ooch schonst wieder so drocken. (Er trinkt und bezahlt. Sie gehen weiter.)

Lehmann. Du, setz’ mal die Tonne ab un jieß einen in. Ick muß eenen pfeifen, mir is so musikalisch zumute. (Trinkt und bezahlt.)

Sperkel. Et muß durchaus heute an de Witterung liejen. (Er schenkt ein.) So’n Durscht, wie ick heute habe, is mir noch nich vorjekommen, obschon mir schon viele Durschte vorjekommen sind. (Trinkt und bezahlt.)

Lehmann. (sehr ernst). Ick will dir sagen, Sperkel, det liegt nu woll ooch mehr an de Jelejenheit. Wir haben den Kümmel sonst nich so bei der Hand, wie heute.

Als sie nach Lichtenberg kamen war der Handelsartikel bis auf eine Neige verschwunden. Sie zählten darauf ihre Barschaft, sahen sich gegenseitig mit großen Augen an und konnten vor Verwunderung nicht zu Worte kommen. Ihr Vermögen bestand nämlich in einem Silbergroschen, mit welchem sie sich wechselweise bezahlt hatten.

Adolf Glaßbrenner – Berliner Leben, Berlin 1936 – Bilder von Theodor Hosemann

 

Letzte Aktualisierung: 30. Dezember 2010 · Kategorie: Original Berlin Berliner Originale