Glaßbrenner Berliner Leben – Das gefallene Pferd

Adolf Glaßbrenner (1810 – 1876 / Pseudonym: A. Brennglas) verfasste viele Geschichten aus dem Berliner Leben, so auch diese. Er gilt als Vater des Berliner Witzes. Die Geschichte ist immer noch aktuell und handelt im Berliner Straßenleben um 1850. Die Kutscher und Straßenjungen waren Berliner Originale. Theodor Hosemann lieferte zu vielen Veröffentlichungen Glaßbrenners die markanten Zeichnungen.

Das gefallene Pferd

Ein Pferd fällt auf der Straße und will, trotz aller Bemühungen des Kutschers, nicht wieder aufstehen. Sogleich versammeln sich eine Menge Bürger, Gesellen, Handlanger und Straßenjungen. Mehrere von ihnen helfen dem fluchenden Kutscher, andere ergehen sich in Scherzen.

Handlanger Neumann (hält die Hand über die Augen und betrachtet das Pferd). Hören Se mal, lieber Fuhrmann, des Pferd is hinjefallen, wenn ick mir nich irre?

Kutscher (immer mit dem Pferde beschäftigt). Schade, det et dir nich uf den Kopp jefallen is, da hätten wir Jrütze.

Glaßbrenner - Berliner Leben - Hosemann

Mauergeselle Pesenecker. Kutscherken, Kutscherken, dun Sie mir den Jefallen und lassen Sie dieses Pferd liejen! Dieses is über die ersten Jugendtorheiten hinaus un will sich ruhen. Ruhe is die erste Pferdepflicht; wir Menschen müssen wat dun. Dieser Andalusier wird krepieren.

Ein Straßenjunge. Jott, wat hat det Pferd vor schöne Knochens! Sagen Se mal, Fuhrmann, worum haben Sie’n diesen arabischen Schimmel heute keen Fleesch anjezogen?

Posamentier Reezel. Sie schmeicheln sich einer Irrung, lieber Junge der Straße. Dieses is keen arabischer Schimmel, sondern echtes Kyritzer Vollblut, Mutter: Hektor, Vater: Birchpfeifer.

Zweiter Straßenjunge. Pfui Deibel, des Tier schlägt aus! Nanu wird et bald Frühling werden. Ach Jott nee, ick hab mir versehen! Et deklamiert man bloß. Et denkt jetzt: Leb wohl, du teures Land, das mir jeboren!

Handlanger Neumann (hält die rechte Hand über die Augen und betrachtet das Pferd). Hören Sie mal, lieber Fuhrmann, des Pferd is hinjefallen, wenn ick mir nich irre! Man sollte es wieder versuchen, in die Höhe zu bringen!

Alle. Nanu, nanu, jetzt steht et uf! Nee, da fällt et wieder hin! Nanu? – Nee, da liegt et wieder!

Kutscher. Kotzschockschwerenot! Na, du komm’ mir zu Hause! –

Ein Betrunkener. Hören Se mal, machen Se mal hier Platz! Machen Se mal hier Platz, machen Se mal! Ich komme! Hören Se mal, des Pferd… (er lächelt und bringt den begonnenen Gedanken nicht zu Ende). Meine Ansicht is…

Ein Straßenjunge. Haben Sie ooch noch ‘ne Ansicht? Ick jloobe, Sie werden schief über die Sache urteilen!

Der Betrunkene. Det Beste is – det Beste is – man bringt des Pferd wieder zum Stehen! Wie? Insofern kann es denn nachher loofen, denn kann es nachher loofen, wohin es will, kann es!

Mehrere Straßenjungen. Na hören Se: Sie können sich verziehen, besoffener Jüngling! Wissen Se wat, jehen Se da nach den Rennsteen un legen Se sich zu Bette!

Handlanger Neumann.
Ja, des dun Sie, Jeistesverwandter. Wenn det Pferd nachher ufjestanden is, denn werden wir Ihnen wecken.

Tagelöhner Schneecke (schreit im Vorübergehen). Herrjees! Platz da! Des Pferd jeht durch! (Er geht ruhig weiter.)

Posamentier Reezel. Hör’n Sie mal, Kutscherken, dieses Vollblut scheint doch am Ende aus Rußland zu sind; es hat noch keene Fasson un is en tück’scher Racker. Wissen Sie was: verabfolgen Sie ihm die Knute!

Ein Straßenjunge. Nee, nee, det hilft nischt! Kutscher, ick wer’ Ihn’n ‘ne span’sche Flieje holen, die zieht! Denn springen Sie bloß uf de Deichsel un halten se über det Pferd.

Kutscher. Halt’s Maul!

Alle. Nanu? Nanu! Jetzt, hü, brrr! Da! Da richtig; na nu steht et!

Handlanger Neumann (geht zum Kutscher und hält die Hand auf). Na, wie is et denn, Fuhrmänniken? Krieg’ ick keen Bierjeld?

Kutscher (ist auf den Wagen gestiegen, treibt seine Pferde an und fährt schnell fort; sich umdrehend). Dämliche Package alle zusammen! Witze können Se machen über allens, aber dun dun se nischt.

Der Betrunkene (ihm nachtorkelnd). Nu fährt der Kerrel, fährt er jradezu immer weiter, immer weiter, ohne mir mitzunehemen. So’n schafsdämlicher Kerrel is mir in meinen janzen Leben noch nich vorjekommen.

Adolf Glaßbrenner – Berliner Leben, Berlin 1936 – Bilder von Theodor Hosemann

 

Letzte Aktualisierung: 30. Dezember 2010 · Kategorie: Original Berlin Berliner Originale

6 Resonanzen zu “Glaßbrenner Berliner Leben – Das gefallene Pferd”


 

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  1. Kommt ´n feina Herr in det “Jasthaus zum dicken Engel” in Moabit un will sisch wat zwischen die Kiem´ haun – er is ooch noch Tierschütza:

    „Bitte einmal Reh!
    Als man´s erschoss, tat´s weh?“
    „Kann´s nich saren liewa Jast,
    doch ick jloob et fast.
    Hätte man mir abjeknallt,
    wüsste ick´s jenaua halt.
    Vamute bald,
    det Tier stammt ausm Jrunewald.
    Se schaun so traurich drein –
    wolln Se liewa Schwein?
    Lende oda Kamm?
    Ick biet Ihn´ ooch ´n Eisbein an!”
    „Ach Herr Wirt, was ess ich bloß!
    Bring´ Se mir ´nen Hefekloß?”
    “Mein Herr, Se sin sympathisch –
    den bekomm´ Se jratis!”

    Thomas Schmidt, Greudnitz.
    (Aus “Leidgenossen zwischen Krumme Lanke, Reichstag und Gedächtniskirche)

  2. Glaßbrenner is mir jut in Erinnerung, natürlich mit den Jeschichten. Musste in Babelsberg ma wat vom Eckensteha Nante offsaren – in jungen Jahren wollte ick Schauspiela wern – se hätten mir ooch bald jenomm´ – bald is ´n bissken mehr als gar nich.
    Det “Spreetaufe” den Adolf Glaßbrenner wieda offjreift, finde ick knorke – jehört awa ooch zur Deutschen Jeschichte.

  3. Zu “Das gefallene Pferd”

    Kutscher: “Wie krieje ick det Pferd zum loofen? Weeßet einfach nich!”
    Kalle Wumpe aus Köpenick: “Üwalass den Pferden det Denken, se ham ´nen jrößeren Kopp!” Das Pferd hebt den Kopf und lächelt. “Sisste”, sagt Wumpe, “det Tier weeß, wat ihm fehlt, ´n richtijet Komplement! Ma wat anderes: Fritzeken, mein kleena Bruda, betreibt umme Ecke ´ne Jaststätte. Dort jibtet Pferdebouletten und …” Das Pferd ist mit einem Ruck oben und galoppert samt Wagen davon. “Ick danke dir!”, so der Kutscher. “Jetzt weeß ick, woruff mein Pferd nich abfährt!”

    (Aus “Leidgenossen zwischen Krumme Lanke, Reichstag und Gedächtniskirche)

  4. Pferd soll ein Brandzeichen bekommen – der Schmied hat Eisen schon im Feuer. Pferd keilt aus und trifft diesen tödlich. Pferd: “So, jetzt kannste!”
    (Aus “Leidgenossen zwischen Krumme Lanke, Reichstag und Gedächtniskirche)

  5. Zu “Das gefallene Pferd”

    Kutscher: “Wie krieje ick det Pferd zum loofen? Weeßet einfach nich!”
    Kalle Wumpe aus Köpenick: “Üwalass den Pferden det Denken, se ham ´nen jrößeren Kopp!” Das Pferd hebt den Kopf und lächelt. “Sisste”, sagt Wumpe, “det Tier weeß, wat ihm fehlt, ´n richtijet Komplement! Ma wat anderes: Fritzeken, mein kleena Bruda, betreibt umme Ecke ´ne Jaststätte. Dort jibtet Pferdebouletten und …” Das Pferd ist mit einem Ruck oben und galoppert samt Wagen davon. “Ick danke dir!”, so der Kutscher. “Jetzt weeß ick, woruff mein Pferd nich abfährt!”

    (Aus “Leidgenossen zwischen Krumme Lanke, Reichstag und Gedächtniskirche)

  6. Ich kann mir der jeschichte nur anschließen:
    Zitat: “Kutscher: “Wie krieje ick det Pferd zum loofen? Weeßet einfach nich!”
    Kalle Wumpe aus Köpenick: “Üwalass den Pferden det Denken, se ham ´nen jrößeren Kopp!” Das Pferd hebt den Kopf und lächelt. “Sisste”, sagt Wumpe, “det Tier weeß, wat ihm fehlt, ´n richtijet Komplement!”